Frist verpasst? Wichtige Hinweise zum Fristbeginn und zum Fristversäumnis im Verwaltungsverfahren

Was ist, wenn der Empfänger eines an ihn adressierten Verwaltungsbescheids davon nie etwas mitbekommt? Die Frage, wann ein Verwaltungsakt wirksam wird, ist zentral für die Fristberechnung und spielt in der Praxis eine größere Rolle, als man zunächst meint.
Beispielsweise bei Rückforderungen von staatlichen Leistungen – z.B. aus Coronahilfen – ist es entscheidend, wann ein Widerspruchsbescheid als bekanntgegeben gilt. Denn nur ab diesem Zeitpunkt läuft die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO. Bleibt die Zustellung nachweislich fehlerhaft oder unklar, kann das relevante rechtliche Folgen haben.
Fristbeginn mit Zustellung des Bescheids
Verwaltungsakte sind bekanntzugeben. Das erfolgt regelmäßig durch Zustellung (§ 41 VwVfG, §§ 3 ff. VwZG). In der Praxis geschieht das z.B. durch Einschreiben mit Rückschein. Der Rückschein dient dabei als Beweismittel für den Zugang.
Wichtig: Der Rückschein ist nur ein Beispiel für eine Zustellform. Daneben existieren u. a. Postzustellungsurkunden, bei denen der Beweiswert rechtlich deutlich höher liegt. Gerade Rückscheine bergen hingegen erhebliche Unsicherheiten:
- Der Rückschein trägt keine oder eine falsche Sendungsnummer.
- Der Adressat ist unklar oder fehlt vollständig.
- Die Zustellung erfolgt an eine veraltete Anschrift.
- Der Brief wird durch eine nicht bevollmächtigte Person entgegengenommen.
In solchen Fällen kann die Beweiskraft des Rückscheins mit der Folge erschüttert sein, dass der Zugang des Verwaltungsakts als nicht nachgewiesen gilt.
Wann beginnt die Frist?
Nach § 70 Abs. 1 VwGO beginnt die Widerspruchsfrist erst mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Der Zugang muss daher konkret nachgewiesen werden. Die Behörde trägt die Darlegungs- und Beweislast für den fristauslösenden Zugang.
Gerade wenn beispielsweise der Rückschein fehlerhaft oder unklar ist, entsteht regelmäßig Streit um den Fristbeginn. In einigen Fällen, etwa wenn die Zustellung zwar nicht ordnungsgemäß, aber der Bescheid dennoch tatsächlich erhalten wurde, kann § 8 VwZG zum Tragen kommen. Danach gilt der Bescheid als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist (sog. "In-den-Händen-halten" des Bescheids).
Frist versäumt? Was die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglicht
Wer eine Frist versäumt, muss nicht zwangsläufig Rechtsverlust erleiden. § 60 VwGO eröffnet die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die Fristversäumnis nicht verschuldet war.
Die Voraussetzungen im Überblick:
- Die versäumte Frist konnte ohne eigenes Verschulden nicht eingehalten werden.
- Der Antrag wird binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt.
- Die Gründe für die Versäumnis werden glaubhaft gemacht (z. B. eidesstattliche Versicherung, Reiseunterlagen, E-Mail-Korrespondenz).
Typische Fälle aus der Praxis:
- Aufenthalt im Ausland ohne Zugriff auf Post
- unklare oder widersprüchliche Zustellversuche
- fehlende Information durch Dritte, die Post entgegengenommen haben
- fehlende oder verspätete Akteneinsicht beim Anwalt
Auch ein Rechtsanwalt muss sich Klarheit über den Fristbeginn verschaffen. Bei unklarer Zustellung darf daher die Frist nicht einfach laufen gelassen werden. Hier greift die gefestigte Rechtsprechung des BVerwG: Der Rechtsanwalt handelt nicht schuldhaft, wenn die Frist aufgrund unvollständiger Aktenlage nicht korrekt ermittelt werden kann.
Nach alldem gilt zusammengefasst:
- Zustellnachweise dokumentieren (Rückschein, Datum, Name, Sendungsnummer)
- Zugang ausdrücklich bestreiten, wenn Zweifel bestehen
- Fristen nicht einfach verstreichen lassen – Akteneinsicht verlangen
- Bei Unsicherheiten: Wiedereinsetzungsantrag prüfen (§ 60 VwGO)
- In komplexen Fällen: anwaltlichen Rat einholen
